Nicht nur an Silvester werden Einsatzkräfte angegriffen

Zwar war der Jahreswechsel in Darmstadt-Dieburg recht ruhig, aber über das Jahr gesehen wird deutlich, dass der Respekt gegenüber Helfern immer weiter schwindet.

Während in der Silvesternacht vielerorts ausgelassen gefeiert wurde, waren zig Tausende Einsatzkräfte in ganz Deutschland unterwegs, um Leben zu retten, Brände zu löschen oder für Recht, Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Dabei wurden vor allem in großen Städten Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter und Ärzte beim Helfen mit Böllern und Raketen beschossen oder tätlich angegriffen. 

In Babenhausen kamen Rettungskräfte zu einem Einsatzort, an dem sie von einem vermeintlichen Patienten attackiert wurden. Ansonsten hielten sich im Landkreis Darmstadt-Dieburg die Vorfälle in der Silvesternacht in Grenzen. „Aber verteilt über das ganze Jahr nimmt die Gewalt immer mehr zu“, bedauert Lars Maruhn, Kreisvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Südhessen. „Das hat sich in den letzten zehn Jahren immer weiter nach oben geschraubt.“

Von Schimpfwörtern bis hin zu Schlägen

Die Eskalation gegenüber den Einsatzkräften beginne mit Beschimpfungen und Beleidigungen, „was alles mit den Müttern der Helfer gemacht werden möchte“. Sie erstrecke sich über einen sehr umfangreichen Fäkalwortschatz und ende in Bedrohungen, Distanzlosigkeit und Angriffen mit Schlägen, Tritten oder Bissen. 

Rettungskräfte werden in ihrer Arbeit, beim Freischneiden von Unfallopfern, beim Wiederbeleben oder beim Löschen von Bränden behindert. „Ein Feuerwehrmann kann in der Eile nicht sagen ‚Gehen Sie mal bitte zur Seite‘, sondern er schiebt einen zu Seite“, berichtet Maruhn. „Und dann geht es los. Jemand fühlt sich provoziert und schlägt zu.“

Noch größerer Hass entlädt sich gegenüber Polizeibeamten, die den Staat repräsentieren. Die Kriminalstatistik macht deutlich: Die Attacken auf Beamte steigen stetig an. Allerdings würden Übergriffe auch schneller zur Anzeige gebracht werden, sagt Yoschka Russo von der Pressestelle der Polizei Südhessen.


Lars Maruhn ist Kreisvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Südhessen und setzt sich dafür ein,
dass Übergriffe gegen Einsatzkräfte schneller und konsequenter bestraft werden sollen.

Mit Angst oder Sorge, so Russo, gehe man nicht zum Dienst. „Allerdings hat man immer Respekt, denn wir sind ja keine Katzen. Wir haben alle nur ein Leben.“ Wie schnell so ein Leben vorbei sein kann, haben die Polizistenmorde im Kreis Kusel und in Mannheim von 2022 und 2024 gezeigt. Auch in Darmstadt-Dieburg gab es im vergangenen Jahr immer wieder Angriffe auf Streifen mit Verletzten.

Mit einem Bein im Gefängnis

Der Polizeigewerkschaftler Lars Maruhn macht daher andere Erfahrungen, was die Angst angeht. Er begleitet viele Kollegen, die besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt sind. „Sagen wir es mal so: Man sollte keine Angst haben, aber es gibt sie durchaus.“ Dabei unterscheidet er zwischen zwei Arten von Angst: der, erneut angegriffen, und jener, strafrechtlich verfolgt zu werden. „Mit einem Bein steht man nämlich immer selbst im Gefängnis, denn natürlich kann ein Polizeibeamter Grundrechte massiv einschränken. Und ein tödlicher Schusswaffengebrauch wird – richtigerweise in einem Rechtsstaat – immer hinterfragt.“

Auf der anderen Seite riskiere man tagtäglich sein Leben. „Das weiß man selbstverständlich, wenn man den Beruf wählt.“ Dennoch seien viele Kollegen geschockt über den Umgang mit ihnen. Manchmal schlägt ihnen regelrechter Hass entgegen – oft angefeuert in den sozialen Medien.

Soziale Medien befeuern Hass

Schaulustige filmen immer häufiger Beamte bei Einsätzen und stellen die Videos dann ins Netz, die von einem anonymen Mob daraufhin hetzerisch kommentiert werden. Die Vorgeschichten – also jene Situationen vor einer Eskalation – bleiben jedoch unerwähnt. „Im Internet wird dann ein vermeintliches Fehlverhalten eines Beamten gezeigt, beispielsweise wenn eine Kontrolle in Handschellen endet“, erzählt Maruhn. „Wie es dazu kam, wird aber nicht dargestellt.“ Währenddessen werden Täter von Umstehenden aufgestachelt und zum Widerstand angespornt.

Durch Bodycams sind Polizisten zwar inzwischen viel besser geschützt. Sie sind eine Art Flugschreiber, um die Umstände eines Einsatzes im Nachgang zu klären, Anschuldigungen von Tätern abzuweisen, „aber in vielen Situationen ist da trotzdem immer auch ein Abwägen, eine Vorsicht, bloß nichts Falsches zu machen“, so Maruhn weiter. „Man sichert sich vorsorglich lieber doppelt ab.“

Die Gegner derweil – darunter sogar sehr junge Leute – würden immer respektloser und maßloser in ihrer Gewaltausübung. „Früher ging es auch mal zur Sache, selbst in sogenannten Problembezirken“, erinnert sich der Gewerkschaftler. „Aber vor der Polizei hatte man immer Respekt. In Städten wie Berlin gibt es inzwischen jedoch Straßen, da behaupten die Bewohner: Diese Straße gehört uns. Da hat die Polizei nichts zu suchen.“

Darauf müsse dringend reagiert werden. „Keine Lippenbekenntnisse, die nach ein paar Tagen schon wieder vergessen sind“, fordert Maruhn. Natürlich wisse ein Polizist bei der Jobwahl, dass er sich auf einen gefährlichen Beruf einlässt. „Es ist ja auch ein Stück weit Berufung.“ Aber die Bedrohungen gehen nicht spurlos an Maruhns Kollegen vorbei. „Nicht wenige sind psychisch so belastet, dass sie in Richtung Kündigung denken.“

Das Schlimme sei vor allem, dass es mittlerweile den Rettungskräften genauso ergehe. „Ein Feuerwehrmann läuft in ein brennendes Haus. Er weiß, dass er unter Umständen dort nicht mehr herauskommt. Neu jedoch ist, dass er auf dem Weg dorthin schon gefährlich körperlich angegangen wird.“

Es sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, das schnellstmöglich behoben werden müsse, fordert Lars Maruhn stellvertretend für die Polizeigewerkschaft. Es brauche zügigere Verfahren, eine deutliche Straferhöhung bei Angriffen auf sämtliche Blaulicht-Organisationen und eine nachhaltige Nachsorge für Opfer von Gewalt. Und man müsse auch prüfen, ob jemand, der in Deutschland eine Straftat begeht, sein Bleiberecht behält, so Maruhn. „Wenn jetzt nicht gehandelt wird, lässt sich das vermutlich nicht mehr zurückdrehen.“
Quelle: Darmstädter Echo vom 04. Januar 2025 Mai-Britt Winkler Foto: Jürgen Mahnke _ Die Rechte zur Veröffentlichung liegen vor.

 

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